Hi Anne, ich finde es super dich als ersten Interview-Partner zu haben. Könntest du dich uns kurz vorstellen?
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© Anne Cherel Rennes /Bretagne 2011 |
Mein Name ist Anne
Chérel, ich bin vor 37 Jahren in Ettelbrück, Luxemburg unter recht
komplizierten Umständen geboren. Sauerstoffmangel führte letztlich zu meiner
körperlichen Einschränkung namens infantile Cerebralparese (ICP), bedingt durch
eine irreversible Hirnschädigung, die mir meine Spastik und im Laufe der Jahre
meinen Rollstuhl beschert hat.
Entgegen aller Selbstverständlichkeit der damaligen und auch der heutigen Zeit,
bin ich im regulären Schulsystem beschult worden, was uns beide später in unserer
Ausbildung zur Erzieherin zusammen brachte und mich anschließend zum Studium
der Sprach- und Erziehungswissenschaften nach Trier, wo ich heute noch hause.
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© Anne Cherel Rennes /Bretagne 2011 |
Wir zwei kennen uns ja schon länger und ich weiss dass du schon immer gern getanzt hast. Aber wie kamst du zu Danceability?
Wie du selbst schon
erwähnst, entdeckte ich schon in den Kinderjahren meinen Faible für Musik und
Tanz. Als Kind tanzte ich immer zu der elterlichen Jukebox, die bei uns zuhause
Stand. Waren wir mit den Eltern zusammen in einer Kneipe, so war mein erster
Gang immer zur Jukebox an der ich immer angelehnt vor mich hin wackelte und den
Text mit trällerte. Wie mir, wurde auch
meinem Bruder die Musikalität vererbt, wir entwickelten mit den Jahren die
gemeinsame Leidenschaft für Rhythmus und Musik auch wenn wir nie ein Instrument
spielen lernten, außer meiner Stimme und meinen Körper für mich und die Konsolen
und Platten für meinen Bruder.
Er nahm mich später mit auf die Piste und ich ließ mich von der Musik
transportieren, vergaß meine Fortbewegungsart und alles um mich herum und
tauchte nur in diese Energie sich bewegender Körper von denen so manche/r mich
ansah als wäre ich das 8. Weltwunder… Und mit den Jahren wurde mir bewusst, was
mir als Kind schon recht deutlich erschien… jeder kann tanzen!
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© Dorf int'l - BewegGrund 2013/2014 Beweggrund |
Jahre später, es war
2002, als ich nach Trier zum Studieren gezogen war, gerieten eine Freundin und
ich, getrieben von unserer Neugierde, in eine Abendveranstaltung in der Trierer
Tuchfabrik. Dort gastierten zur Zeit Alito Alessi und sein Haupttänzer Emery
Blackwell. Der Hauptakteur, Tänzer und
Choreograph und sein Kollege tanzten Exzerpte aus ihrem damals aktuellen
Stück und luden anschließend das
Publikum zum Austausch ein.
Als ich Alito und Emery sah, fiel ich nahezu vor Staunen aus dem Stuhl und
überhaupt durchlebte ich während ihrer Performance Emotionen, die mich
transportierten wie mich noch nie zuvor etwas berührt hat, was ich als
Zuschauer „konsumierte“. Vor allem Emery - Spastiker wie ich, jedoch in viel
ausgeprägterer Form – verblüffte mich in seiner Bewegungsvielfalt und Eleganz
und die Kommunikation zwischen beiden Tanzpartnern war so klar, so gleichberechtigt
und eben, wie ich sie in der „realen“ Welt zwischen sogenannten behinderten und
nicht-behinderten – und vor allem in der Tanzwelt- noch nicht erlebt hatte! Ich
wollte mehr Wissen, darüber lernen, mehr erfahren.
So kam das Wort DanceAbility in mein Gehörgang und Sprachrepertoire und ich zu
DanceAbility über das heutige Ensemble BewegGrund in Trier. Denn es stellte
sich heraus, dass sich einmal wöchentlich eine Gruppe zum Tanzen in der Tufa
traf und es noch freie Plätze gab!
Meine Freundin und ich gingen hin und lernten sehr viel mehr über diese Tanzart.
Wie würdest du Leuten, welche noch nie von Danceability gehört haben, es beschreiben?
DanceAbility basiert
auf der Improvisation. Jede Bewegung, ob groß, ob klein, sei es nur ein
Augenzwinkern oder eine Pirouette, hat ihren Platz in den jedem Tänzer eigenen,
individuellen Bewegungsmöglichkeiten. Ob
ich nun sitze oder stehe, liege oder hocke… es gibt kein richtig oder falsch.
DanceAbility ist geprägt von der
Kontaktimprovisation. In dieser Tanzform, bewegen sich zwei oder mehr Menschen
miteinander, teilen Gewicht, folgen einem gemeinsamen Kontaktpunkt und
kommunizieren tänzerisch miteinander. Auf diese Weise entsteht ein Tanz, bei
dem Menschen mit einer unterschiedlichen Vielfalt an Bewegungsmöglichkeiten
eine gemeinsame Basis künstlerischen Ausdrucks entdecken. DanceAbility ist dem
zeitgenössischen Tanz zuzuordnen.
DanceAbility als Tanzform
wurde von Alito Allessi und Karen Nelson vor mittlerweile 25 Jahren in Eugene,
Oregon, USA entwickelt und ist inzwischen eine weltweit verbreitete Tanzform
und Methode, bedeutend für den zeitgenössischen und inklusiven Tanz.
Hauptsächlich erst in Nord- und Südamerika verbreitet, festigt sich
DanceAbility nun auch in einem seit 2011 gegründeten europäischen Netzwerk, dem
ich heute auch zugehöre, zusammen mit Maja Hehlen, meiner Freundin, Fördererin
und Choreographin mit der ich seit nunmehr einigen Jahren immer wieder gerne
zusammenarbeite und die mir ein großes Vorbild ist. Unter ihrer Leitung gibt es
das Ensemble BewegGrund nun seit dem Ende der 1990ger Jahren und wir arbeiten
mit einer Gruppe von 14 Tänzerinnen und Tänzern mit und ohne Behinderung
aktuell an unserem 4. abendfüllenden Stück „dorf int‘l“
(Wiederaufnahme am 20.02.2014).
Maja und
das Ensemble sind für mich der Anker, der mir Halt gibt in ältesten Stadt
Deutschlands, in der ich mich fast genau so fremd und gleichzeitig heimisch
fühle wie in meinem Geburtsland. Der Tanz mit ihnen allen, die gemeinsame
Entwicklung unserer Stücke gibt mir Kraft und Inspiration.
DanceAbility ist
Empowerment das zur Eigenakzeptanz führt und darüberhinaus Stärken in jedem
hervorbringt, die nur darauf warten wachgekitzelt zu werden.
So kommt es, dass
ich heute jedes unserer Tanzstücke als ein Abenteuer ansehe, wundervolle Reisen
in neue Gefilde ob in 2000 Metern Höhe, an der wilden Nordsee, in der Stadt
oder dem Dorf.
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Sea ya! - BewegGrund 2009 © |
In 2010
wachte der Mut in mir auf, nach Wien zu ziehen um selbst die Weiterbildung zur
DanceAbility Trainerin bei Alito Alessi zu machen. Dank Majas Unterstützung
aber auch weil ich gewachsen war, wußte ich, ich kann es schaffen, ich will dem
Tanz eine neue, gefestigtere Stellung in meinem Leben geben. Das war eine
wundervolle, schweißtreibende und tränenreiche Reise, die mich bis an meine
Grenzen trieb und darüber hinweg. Und nach dieser intensiven Zeit mit
wundervollen Menschen aus aller Welt, hatte ich mich vervollständigt,
vervielfältigt –auch in beruflicher hinsicht.
Verändert
hatte mich Wien und die Wiener, aber auch und vor allem Alito, der uns mit seinem nicht immer sehr
einfachen Wesen und Wissen beschenkte, mit seiner Klarheit und
Wiedersprüchlichkeit mit der er sein Menschsein bewies…
In meiner ganzen Bildungslaufbahn habe ich
noch nicht so viel gelernt und so viel Leidenschaft erfahren, war ich noch nie
so stolz auf das gewesen, was ich mir aneignen konnte! Ich kann sagen, das war
der Beginn dessesn, was ich später ein “mein Leben ist aus der Bahn geraten”
nennen sollte!
Was war dein schönstes Erlebnis? Oder schönste Erinnerung? Was hat sich dadurch für dich geändert?
Gleich nach
meiner Rückkehr habe ich dann die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und eine
wöchentliche AG in der integrierten Gesamtschule am Wolfsberg für ein Schuljahr
geleitet. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten, vor allem, was die Wertigkeit
meiner Arbeit mit den Kindern anging, entwickelte sich der Kurs. Die Renitenz
der Kinder ließ nach und sie genossen es ihre Kreativität in Bewegung
umzusetzen. Noch heute denke ich gerne daran zurück und danke meinen Schülern
für diese tolle Zeit in der sie mich an einem Quantum ihrer
Persönlichkeitsentwicklung haben teillassen!
2011 geriet
mein Leben dann aus der Bahn, als mich eine Tanzkollegin für ein europäisches
Projekt mit an Bord bat. Mein ehemaliger Arbeitgeber hatte dieses Projekt an
Land gezogen, ein Multiplikatorenprojekt zur Verbreitung des inklusiven Tanzes
in Europa. Und ich sollte mit unterrichten! Mit pochendem Herzen sagte ich zu
und wurde nebst der Ausführung auch mit der Kommunikation der Teilnehmer
betraut.
So erwartete ich Ende April voller Spannung die Gesichter zu den 16
Namen die bisher nur vom Papier aus auf mich blickten.
Eine Woche
tanzten wir über die Grenzen Triers, trafen nebst Deutschland auf die Türkei,
Lerttland, Ungarn und Irland. Ich verliebte mich gleich dreimal: in den Tanz,
unsere gemeinsame Sprache und in ihn… aber das ist eine andere Geschichte. Die
Lieben meines bisherigen Lebens zu vereinen, das hat mich weggefegt und mit diesem Windstoß tanze ich
seither!
Der Tanz rief mich zum Tanz und ich folge dem Ruf seither:
Deutschland, Luxemburg, Spanien, England. Ich lerne von Anderen, gebe auch
selbst Workshops und leite inzwischen das Ensemble - unseren wöchentlichen Workshop zusammen mit Maja.
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© by Murel 2013 |
Welche Ziele/Träume hast du?
Ich wünsche
mir, DanceAbility in meinem Herkunftsland zu etablieren. Den Menschen dort
etwas Wertvolles zu vermittel und sie in die Möglichkeiten einzuführen, welche
die Methode aufzeigt.
Weiter wünsche ich mir, in meiner Ausbildung ein Stück
weiter zu gehen, selbst Menschen in DanceAbility ausbilden zu können, damit sie
Alitos Werk weiter tragen können – aus meiner Leidenschaft, meinen Beruf zu
machen, in Anerkennung und Wertschätzung, inhaltlich wie auch künstlerisch.
In
der “inklusiven Tanzwelt” fühle ich mich
eben mit anderen Menschen, die Behinderung wird Nebensächlichleit und
gemeinsamer Nenner zugleich… ich spiele in derselben Liga –
das hat die “andere
Welt” noch zu lernen und ich weiß nicht, ob sie je dahin kommen wird.
Schließlich wünsche ich mir, dass meine Passion
mich irgendwann gen Süden fegt, ans Meer…
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© Anne Cherel intracities/stadtgeschichten - BewegGrund/Tufa Tanz e.V. 2011-2012 |
Wenn sich jemand dafür interessiert, wo kann man mehr Informationen darüber finden?
Weitere
Informationen & Buchungen:
DanceAbility
Deutschland auf Facebook:
Buchungen
unter: messagerie_anne@yahoo.de
infoaesthesis@gmail.com
tel:
+49/1622755625
+352/621329885
Noch eine letzte Frage: du hast immer so gute Musiktipps ;-) Könntest du uns ein Paar Lieder mit auf den Weg geben?
Danke Anne für das interessante Interview und ich wünsche dir und deinem Ensemble Beweggrund weiterhin viel Erfolg .